Nur «Prepper»-Bakterien überleben die Behandlung mit Antibiotika
D-USYS
Wenn ein Bakterium zur Antibiotikaresistenz mutiert, kann es sein, dass erst seine 'Ur-Ur-Urenkel' die Antibiotikabehandlung überleben. Das sind die Ergebnisse der Forschungsgruppen Theoretische Biologie und Molekulare Mikrobielle Ökologie am Departement D-USYS.

Wie viel Zeit vergeht zwischen der Mutation eines Bakteriums und dem tatsächlichen Nutzen dieser Mutation? Diese Frage stellten sich die Gründerväter der Bakteriengenetik, Luria und Delbrück, bereits im Jahr 1943. Sie ahnten also bereits vor 75 Jahren, dass diese so genannte «phänotypische Verzögerung» wichtige Auswirkungen auf die Entwicklung der Bakterien und auf ihre mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Arbeit über bakterielle Mutationen haben könnte. In einer Zeit, in der ein detailliertes Verständnis der bakteriellen Physiologie fehlte und auch die genetische Messinstrumente zur Erforschung der phänotypischen Verzögerung noch nicht zur Verfügung standen, geriet diese Frage jedoch zunehmend in Vergessenheit.
Alte Frage – neu untersucht
In einer kürzlich in PLoS Biology veröffentlichten Studie haben Forschende der Theoretischen Biologie und Molekularen Mikrobiellen Ökologie am Department D-USYS diese Frage erneut aufgegriffen und beantwortet. In ihrer Studie wandten sie eine Kombination aus experimentellen Methoden und mathematischer Modellierung an. Damit konnten sie zeigen, dass die phänotypische Verzögerung bei Bakterien bis zu 3-4 Generationen betragen kann und dass die Mutationsraten der Bakterien deshalb mit konventionellen Methoden nicht genau bestimmt werden können. Da Mutationen eine lange Zeit benötigen, um ihren Phänotyp zu etablieren und Antibiotika zu widerstehen, bedeutet dies, dass diejenigen Bakterien, die eine Antibiotikabehandlung überleben, wahrscheinlich die notwendigen Mutationen im Voraus erworben haben, vergleichbar mit besonders vorsichtigen bakteriellen «Preppern» in einer Welt des antibiotischen Stresses.
Woher die Resistenz?
In der Antibiotika-Forschung gibt es ein seit langem diskutiertes Thema: Wenn wir Resistenzmutationen im klinischen Umfeld beobachten, woher kommen sie dann? In Fachkreisen kursiert die Auffassung, dass Antibiotika lediglich für bereits existierende Mutanten selektieren; andere Forschende hingegen glauben, dass erst die antibiotische Behandlung die normalen Bakterien in resistente Mutanten verwandelt. Da Mutationen für Bakterien nicht sofort wirksam sind, deutet die vorliegende Studie nun darauf hin, dass bereits vorhandene Mutationen die wahrscheinlichere Ursache von Antibiotika-Resistenzen sind.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt die Resistenz gegen Antibiotika eine immer grössere Bedrohung für die globale öffentliche Gesundheit dar. Bis 2050 könnte sie jährlich bis 10 Millionen Menschen töten. Das wissenschaftliche Verständnis der Entwicklung von Resistenzen spielt deshalb eine Schlüsselrolle bei der Kontrolle und Reduzierung von Resistenzmutationen.
Literaturhinweis
Sun L et al. Effective polyploidy causes phenotypic delay and influences bacterial evolvability. PLoS Biol 16(2). 2018.
externe Seite https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2004644