Sie sind gekommen, um zu bleiben: Das Problem der PFAS-Persistenz

Per- und Polyfluoralkyl-Stoffe (PFAS) sind überall und ihre Regulierung ist komplex. Ihre Persistenz sollte als direkter Bestandteil der chemischen Gefahr betrachtet werden, schreibt Martin Scheringer in einem Editorial der Zeitschrift Science. Martin Scheringer ist Privatdozent am Departement Umweltsystemwissenschaften (D-USYS) der ETH Zürich und Professor für Umweltchemie an der Masaryk-Universität in Brünn, Tschechien.

von Sophie Graf
Bild: Francesco Scatena
Bild: Francesco Scatena  

Herr Scheringer, von Antihaft-Kochgeschirr über Lebensmittelverpackungen bis hin zu Feuerlöschschaum – PFAS sind überall und ihre Persistenz in Lebensmitteln, Trinkwasser und der Umwelt haben zu einem Verschmutzungsproblem von bisher ungekanntem Ausmass geführt. Warum wird den Regulierungsbehörden erst jetzt bewusst, dass wir ein Problem haben?
Man hat wohl das ganze Problem irgendwie unterschätzt. Eigentlich werden schon seit längerer Zeit Messungen von PFAS in der Umwelt durchgeführt, aber erst kürzlich hat man sie wohl zum Gesamtbild zusammengefügt und gesehen, dass das Problem flächendeckend ist. Zurzeit gibt es über 15’000 kontaminierte Standorte in Europa (foreverpollution.eu). Man hat wohl auch die Stoffeigenschaften von PFAS nicht auf das hin "gelesen", was sie bedeuten, nämlich dass PFAS nicht mehr verschwinden. Und im Prozess für die Anmeldung oder Registrierung von Chemikalien gibt es keine "rote Linie", die das Inverkehrbringen von Stoffen mit so grosser Persistenz unterbinden würde.
 
Wie haben sich die Behörden und Gesetzgeber in Europa und den Vereinigten Staaten mit dem Thema PFAS auseinandergesetzt und welche neuen Gesetzesvorschläge werden derzeit geprüft?
Konkret geprüft wird in der EU ein sog. Beschränkungsvorschlag, der PFAS als ganze Gruppe regulieren will und viele Verwendungen von PFAS einschränken oder beenden würde. In den USA haben mehrere Staaten bereits Regulierungen von PFAS erlassen, und weitere sind in Vorbereitung. Diese Gesetzesvorschläge sind spezifisch auf PFAS bezogen. Das ist angesichts der PFAS-Kontamination zu begrüssen, aber eigentlich sind das zu spät kommende Verbote. Sie beinhalten keine grundsätzliche Änderung des Verfahrens zur Chemikalienbewertung und Chemikalienregistrierung.

Martin Scheringer
«Das System müsste dahingehend geändert werden, dass es für persistente Stoffe nicht erlaubt ist, sie in offenen Anwendungen einzusetzen, sondern nur in geschlossenen Systemen.»
Martin Scheringer
Martin Scheringer

Ihrer Ansicht nach ist die Persistenz von Chemikalien, insbesondere bei PFAS, ein entscheidender Faktor für die Toxizität. Wie kann das etablierte System der Chemikalienbewertung und -regulierung angepasst werden, um die Persistenz angemessen zu berücksichtigen?
Bisher können Chemikalien, die zwar persistent, aber nicht sehr toxisch sind, nicht verboten werden, zumindest nicht aufgrund dieser Eigenschaft der Persistenz. Das System müsste (und könnte) dahingehend geändert werden, dass es für persistente Stoffe nicht erlaubt ist, sie in offenen Anwendungen einzusetzen, sondern nur in geschlossenen Systemen. Auch die Warnung durch Symbole wie den Totenkopf für giftige Stoffe müsste entsprechend ergänzt werden durch ein Symbol für hohe Persistenz.

Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich bei der Entwicklung und Einführung von PFAS-freien Alternativen in verschiedenen Branchen?
Für viele Verwendungen von PFAS gibt es bereits Alternativen. Wir stehen also hier nicht ganz am Anfang, sondern können in vielen Bereichen  Textilien, Nahrungsmittelverpackung, Teppiche, Reinigungsmittel, Möbel, Kosmetika, aber auch Feuerlöschschäume  bereits andere Materialien einsetzen. Bekannte Marken z.B. für Möbel oder Sportbekleidung bieten gezielt PFAS-freie Produkte an. Die Herausforderung ist wohl, dass man für verschiedene PFAS-Anwendungen ganz unterschiedliche neue Lösungen finden muss, je nach der genauen jeweiligen Funktion der PFAS. Und schliesslich gibt es auch einige Bereiche mit sehr hohen Ansprüchen an die Leistungsfähigkeit der Materialien wie z.B. Schläuche und Ventile für Blut in Dialysepumpen oder Schutzbekleidung, wo sich PFAS bisher nicht ersetzen lassen. Hier ist noch mehr Entwicklungsarbeit gefordert.
 

Neben ihrer Forschungstätigkeit sind Sie auch Mitglied des International Panel on Chemical Pollution (IPCP). Wie stark kann Forschung überhaupt Einfluss nehmen?
In der Wissenschaft kennen wir die Befunde und Probleme aus erster Hand, und darüber müssen wir berichten. Das ist nicht immer einfach und muss auch eigens gelernt werden, weil man gegen aussen anders, z.T. sehr anders sprechen muss als wissenschaftsintern. Wenn man das tut – also den Kontext erläutert und vor allem die wichtigsten Dinge zuerst sagt, sich kurz fasst und ohne Fachjargon spricht – wird das von Seiten der Politik und auch der Medien geschätzt und man ist als Gesprächspartner willkommen. Dies haben wir im IPCP immer wieder erfahren, das ist ermutigend.

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