Catuaí: Geschichten aus Brasiliens Herz der Kaffee-Produktion  

Haben Sie sich schon einmal gefragt, woher Ihr Morgenkaffee kommt? Mehr als ein Drittel des weltweit exportierten Kaffees wird in Brasilien und im Bundesstaat Minas Gerais angebaut. Die Reisen der Forscherin Marie Sigrist in diese Region inspirierten sie zu ihrem Podcast «Catuaí». Doch was hat die Sozialanthropologin dazu bewogen, ihre Geschichten aus dem Herzen von Brasiliens Kaffeeproduktion mit dem Publikum zu teilen?

Ausgestattet mit einem Feldnotizbuch, einem Diktiergerät und einer Kamera führte Marie Sigrist halbstrukturierte Interviews mit rund 50 Akteur:innen der Kaffee-Wertschöpfungskette, darunter Landarbeiter, Kaffeebäuerinnen, Q-Graders und Genossenschaftsvorsitzende. Marie Sigrist ist Sozialanthropologin und arbeitet in der Gruppe für agrarökologische Übergänge von Johanna Jacobi an der ETH Zürich. Von September bis Dezember 2022 war sie in den Bergregionen Campo das Vertentes und Serra da Mantiqueira in der Provinz Minas Gerais, Brasilien, unterwegs. Dort beschäftigte sie sich intensiv mit der lokalen Kaffeeproduktion. Ihr Forschungsschwerpunkt: bestehende Machtasymmetrien, Partizipation und Deliberation sowie die aktuellen sozialen und Umweltprobleme, mit denen die Produktion vor Ort konfrontiert ist.

Marie Sigrist, wie geht es denn der Kaffeeproduktion in Minas Gerais?
Etwa 80’000 Menschen arbeiten jedes Jahr auf den Kaffeeplantagen in Minas Gerais, einige unter prekären Bedingungen – man könnte sogar von moderner Sklaverei sprechen. Frauen und Menschen afrikanischer Abstammung, obwohl sie eine wichtige Rolle in der Kaffeeproduktion spielen, sind oft nicht an Entscheidungsprozessen beteiligt. Diesen Frauen – wollte ich unbedingt eine Stimme geben, die auch ausserhalb der akademischen Forschung gehört wird.

 

So kamen Sie auf die Idee, ein Podcast zu produzieren?
Genau. Ich hatte das Bedürfnis, davon zu erzählen, was ich in Brasilien erlebt habe. Und über die drängendsten Probleme zu sprechen. Hier in Europa ist vielen Menschen nicht bewusst, unter welchen Bedingungen der Kaffee produziert wird, den sie jeden Morgen trinken.

Wer soll sich den Podcast anhören?
Der Podcast-Kanal Catuaí lässt die Akteur:innen der Kaffeekette – Kaffeebäuerinnen, Röstern, Verbandsführerinnen, Forschern, Einzelhändlerinnen und Verbrauchern  – sprechen. Er soll Raum für Diskussionen über nachhaltigen Kaffee geben, darf also auch Fragen aufwerfen und Herausforderungen ansprechen. Ich habe keine grossen Erwartungen, dass ich die Kette auf meiner Ebene angeht, da es sich um ein sehr tief verankertes System der Wertschöpfung handelt. Aber ich freue mich, wenn zum Beispiel auch Studierende sich meine Geschichten anhören und darüber nachdenken.

Die Protagonistin im Podcast, Jonalisa, hat einen harten Job. Wie war es, sie zu treffen?
Jonalisa ist 57 Jahre alt und arbeitet auf einer kleinen Plantage in der Nähe von Oliveira im Südosten von Minas Gerais. Diese Farm produziert sogenannten «Spezialitätenkaffee». Das bedeutet, dass dieser dort produzierte Kaffee einen 10-fach höheren Preis erzielen kann als traditioneller Kaffee. Aber erhalten die Pflückerinnen auch einen besseren Lohn? In Realität sind die Arbeitsbedingungen der Pfückerinnen leider oft miserabel. Die Arbeit ist körperlich sehr streng, oft gibt es nicht einmal Arbeitsverträge. Die Menschen werden als Ressource benutzt. Wenn sie nicht mehr können, werden sie durch andere ersetzt. Das System ist eng verknüpft mit Monokultur und Ausbeutung – sowohl der Umwelt als auch der Menschen. In der politischen Ökonomie sprechen wir von «Plantagenozän» .Das ist, was wir beobachtet haben. Es gibt nicht viele, aber einige Alternativen, auf die wir in unserer Arbeit unbedingt fokussieren wollten.

Und das sind?
Einige Farmen arbeiten nicht mit grossen Produzenten zusammen, sondern rösten ihren Kaffee selbst. Sie fahren zum Beispiel 7-8 Stunden zu den lokalen Märkten, um ihn dort zu verkaufen. Ich traf zum Beispiel auf einen Mann, der seinen Transporter zu einem mobilen Labor umgebaut hatte. Dort röstete er seinen Kaffee und zog von Dorf zu Dorf, um die Menschen zu unterrichten und sein Wissen weiterzugeben. Genau dieses Wissen ist der wichtigste Schlüssel für die Umstellung von konventioneller auf unkonventionelle Kaffeeproduktion.

Mit welchen Forschungsfragen waren Sie im Gebiet unterwegs?
In Minas Gerais gibt es eine Vielfalt von Kaffee-Erzeuger:innen, von kleinen Familienbetrieben bis zu grossen Unternehmen. Grosse Genossenschaften spielen eine bedeutende Rolle bei der Abwicklung des Kaffeehandels. In diesen globalen Wertschöpfungsketten gibt es ungleiche Machtverhältnisse. Die Akteur:innen, die Land nutzen und Zugang zum globalen Markt haben, üben Druck aus, während andere von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind. Mich interessierte die Frage: Welche Machtbeziehungen bestehen in der Kaffee-Wertschöpfungskette und wie werden sie aufrechterhalten? Und welche Beteiligungsmöglichkeiten gibt es für die weniger privilegierten Akteur:innen? Die Analyse unserer Daten wird aufzeigen, wie diese Machtasymmetrien funktionieren und wie sie angegangen werden können.

Wie geht es mit dem Podcast nun weiter?
Es gibt mittlerweile 4 Episoden des Catuaí -Podcasts. Zwei davon sind auf Französisch, eine auf Portugiesisch und eine auf Englisch. Weitere werden folgen. Ich habe zum Beispiel auch mit einem Barrista in einem Coffeeshop in Portugal gesprochen. Er wird die Hauptperson meiner nächsten Episode sein.

Weiterführende Informationen

  • externe Seite Catuaì: A podcast on the coffee value chain (Englisch, Französisch und Portugiesisch)
  • Marie Sigrist hat einen Doktortitel in Sozial- und Kulturanthropologie. Als Forscherin in der Gruppe AgroEcological Transitions von Johanna Jacobi arbeitet sie zurzeit zum Thema Partizipation in der Kaffee-Wertschöpfungskette.

Verwandte Artikel

 

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert